In Lüneburg wurde am 5. Februar unter dem Motto „Solidarisch handeln – Corona überwinden!“ demonstriert, und auch da gab es einen Redebeitrag aus unseren Reihen (wenn auch nicht im Namen), in dem es vorwiegend um die Situation in den Kliniken geht:
Der Redebeitrag von Robert Kirschner (regionaler verdi-Sekretär).
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,
viele Menschen sind heute hier, um für einen solidarischen Umgang mit der Coronapandemie,geprägt vom Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnisse und im Glauben an die Möglichkeit eines konstruktiven Dialoges zu demonstrieren.
Sie wollen ein sichtbares Zeichen für einen respektvollen Umgang mit vulnerablen Gruppen und mit Beschäftigten in stark geforderten Bereichenunseres Gesundheitsystems setzen.
Sie wollen aber auch ihre Distanzierung zum Ausdruck bringen,von Personen, die die aktuell sehr angespannte und herausfordernde Situation unserer Gesellschaft nutzen, um pauschal zu diffamieren,um Verschwörungstheorien zu verbreiten und politisches Kapital aus der Not anderer Menschen zu schlagen.
Auch ich distanziere mich davon auf das Schärfste!
Manchmal ratlos, manchmal wütend und manchmal auch betroffen macht mich, dass heute auch auf der anderen Seite des Demonstrationszuges Menschen stehen, die ich persönlich kenne und die mir im Gespräch versichert haben, dass sie Verschwörungstheorien, Hass und Hetze ebenfalls ablehnen.
Einige von Ihnen demonstrieren aus Angst vor medizinischen Risiken einer Impfung, andere aus Protest gegen finanzielle Verluste durch die ab dem 15.März geplante Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht. In ihrem Aufruf zur heutigen Demonstration fordern sie auch Veränderungen in unserem Gesundheitssystem!
Unzweifelhaft ist – die Beschäftigten im Gesundheitssystem brauchen unsere Unterstützung!
Das System ist seit vielen Jahren krank. Es setzt falsche Anreize und erzeugt durch belastende Arbeitsbedingungen enormen Druck auf die Beschäftigten!„Alles muss sich rechnen“ – ist zur beherrschenden Devise im klinischen Alltag geworden, mit negativen Folgen für Patient*innen und Beschäftigte.
In keinem anderen Land in Europa werden mehr Patient*innen von einer Pflegefachkraft versorgt – ich bekomme Anrufe und Nachrichten von Gesundheits- und Krankenpflegerinnen, die berichten, dass sie im schlimmsten Fall allein für 40 pflegebedürftige Personen zuständig waren und Angst hatten, ihre Arbeit nicht mehr bewältigen zu können.
Die Folge: Immer mehr Pflegefachkräfte reduzieren ihren Arbeitsumfang wegen Überlastung oder verlassen sogar vorzeitig den Beruf. Laut einer aktuelle Studie aus dem Bundesland Rheinland-Pfalz denken 75% der in diesem Bundesland tätigen Pflegefachkräfte über einen Berufswechsel nach.
Auch die Stellenpläne anderer Berufsgruppen wie z.B. Wirtschaftsdienst, Reinigung, Küchenpersonal werden trotz zunehmender Patient*innenzahlen reduziert oder, wie im Fall der Mitarbeiter des Transportdienstes, der Küche und der Logistik im Allgemeinen Krankenhaus Celle – Opfer des Outsourcings in Tochterfirmen. Eine Kollegin aus der dortigen Küche berichtete mir in einem Telefonat, dass sie seit der Ausgliederung erheblich weniger verdient als vorher. In der Küche neu eingestellte Beschäftigte verdienen, wenn man Altersvorsorge, Jahressonderzahlung und alle Zuschläge mit berechnet, bis zu 40% weniger, als die Kolleginnen und Kollegen, die vor der Ausgliederung noch nach den Leistungen des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes bezahlt wurden – und das bei um 6% gestiegenen Lebensmittelpreisen und um 18% gestiegenen Energiepreisen.
Eine Studie zum Finanzierungssystem der Krankenhäuser von Prof. Michael Simon aus dem November 2020 kommt zu dem Ergebnis, dass die Finanzierung unserer Krankenhäuser „nicht dem Leitbild eines Krankenhauses als sozialer Einrichtung [folgt], sondern dem Vorbild eines Krankenhauses als Produktionsunternehmen, das Waren für einen Markt produziert und Gewinne erzielen muss, um wirtschaftlich zu überleben“.
Und nun stellt Covid19 neben den schon geschilderten, extrem belastenden Arbeitsbedingungen eine weitere enorme Herausforderung für die Beschäftigten im Gesundheitswesen dar.
Die Gründe für diese Belastung sind neben den schon beschriebenen Mängeln in unserem Gesundheitssystem natürlich auch das Virus und die Erkrankung, die das Virus verursacht.
Die Ausrichtung des Gesundheitssektors auf die öffentliche Daseinsvorsorge und die Abkehr von reiner Profitorientierung zu erreichen, wird lange dauern und nur mit der Kraft und Entschlossenheit sehr vieler Menschen umzusetzen sein!
Schnell vermindern lässt sich die Belastung des Systems und damit auch der Beschäftigten in diesem System im Moment aber dadurch, dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen.
Sie erkranken dann weniger stark und müssen weniger häufig ins Krankenhaus. Das entlastet die Pflege und alle anderen Berufsgruppen und es verhindert die noch stärkere Überlastung von Krankenhäusern, die auch in der Pandemie unverändert viele Herzinfarkte, Schlaganfälle und Unfallopfer behandeln müssen.
Wir appellieren an alle, bei denen keine gesundheitlichen Gründe dagegensprechen, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen. Die Impfung bietet keinen perfekten Schutz, sie verhindert aber in der Regel schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle und dämmt die Infektionen ein.
Die Impfpflicht für Beschäftigte bestimmter Einrichtungen hingegen wird innerhalb der Gewerkschaft ver.di sehr kritisch gesehen.
Unter anderem deshalb, weil die Impfquote bei den davon besonders betroffenen Berufsgruppen schon sehr hoch ist.
In der Krankenhauspflege liegt sie laut aktueller Umfrage des Deutschen Krankenhaus Instituts (DKI) bei durchschnittlich 95 Prozent. In anderen Bereichen ist sie etwas niedriger, Tatsache aber ist: Die einrichtungsbezogene Impfpflicht hat keinen nennenswerten Einfluss auf die bundesweite Impfquote.
Zugleich ist sie kein gutes Signal an die betroffenen Beschäftigtengruppen und könnte problematische Folgen haben.
Es gibt in dieser Frage unterschiedliche Positionen und es ist wichtig, einander zuzuhören. Viele Emotionen sind im Spiel, das ist verständlich. Unter den betroffenen Beschäftigten im Gesundheitswesen und in der Behindertenhilfe gibt es verschiedene Meinungen zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht.
Ganz Unabhängig von der Pandemie zeigt sich aber nun erneut, wie unzureichend die Personalbesetzung in den Krankenhäusern ist. Gleiches gilt natürlich für die Altenpflege, die Behindertenhilfe, Rettungsdienste und andere Bereiche.
Wenn hier nur etwas mehr Personal ausfällt als üblich, drohen große Versorgungsprobleme.
Das muss bedacht werden, wenn ab Mitte März noch nicht geimpftes Personal abgezogen werden soll.
Seit Jahren fordert ver.di verbindliche Vorgaben für eine bedarfsgerechte Personalausstattung.
Was nach dem 15.März geschehen wird, ist noch völlig unklar. Sollten die Gesundheitsämter Beschäftigten ohne Impfung ab Mitte März verwehren, weiterzuarbeiten, würde das auf eine noch höhere Belastung des verbleibenden Personals hinauslaufen. Diese andauernde Extrembelastung hat auch schon vor der Pandemie viele aus ihrem Beruf getrieben, das darf sich nicht noch weiter verschärfen.
Das Bekenntnis zu einem solidarischen, faktenbasierten und wissenschaftlich fundierten Umgang mit der Pandemie soll als Botschaft von dieser Demonstration ausgehen.
Dieses Bekenntnis schließt den Kampf für eine am Gemeinwohl orientierte Steuerung der gesundheitlichen Versorgung mit ein – sie muss ganz oben auf der politischen Agenda jeder demokratischen Regierung dieses Landes stehen.
Lasst uns gemeinsam dafür streiten und nicht um das Impfen.
Die Impfung gehört unzweifelhaft zu den größten Errungenschaften der Medizin. Um nur ein Beispiel zu nennen – noch im Laufe des 20. Jahrhunderts starben weltweit schätzungsweise rund 400 Millionen Menschen an Pocken. Seit mehr als 40 Jahren ist diese Krankheit nicht mehr aufgetreten, und zwar nur dank der erfolgreichen Impfung.
Um mehr Menschen für eine Tätigkeit im Gesundheitswesen zu gewinnen, ist es wichtig, die Berufe attraktiver zu gestalten!
Neben Fragen der Bezahlung gehören dazu auch konkrete Arbeitsbedingungen, wie z.B. die Personalausstattung auf den Stationen und in den Operationssälen, in den Küchen und Büros, das Gesundheitsmanagement oder die Beteiligung der Beschäftigten an betrieblichen Entscheidungen und Veränderungen.
Dafür gilt es alle Kräfte zu mobilisieren und zwar gemeinsam und auf dem Boden unserer demokratischen Grundwerte.
Miteinander, statt gegeneinander,
nicht auf der Basis von „Hass gegen die da oben“
sondern auf der Basis des Glaubens an die eigene Stärke!